Lasieren und Höhen
Die altmeisterliche Temperamalerei lässt sich durch vergleichbare Eigenschaften und Malverhalten super mit Acrylfarben oder auch in Kombination mit Ölfarben umsetzen.
Die Acrylfarbe trocknet schnell, so dass der Künstler nur schwer feine Übergänge wie mit Ölfarben malen kann. Die Temperamalerei ähnelt in ihren Eigenschaften der Acrylfarbe. Auch sie kann nicht in feinen Übergängen vermalt werden. Aufgrund ihres Malverhaltens entwickelten die Künstler damals die Schichtenmalerei.
Die alten Meister malten sowohl in lasierender als auch in deckender Maltechnik und schichteten eine Vielzahl von Farbaufträgen übereinander. Maler wie Leonardo da Vinci, Tizian aber auch Salvador Dalí schufen mit Hilfe des Bildaufbaus und der Bildtiefe feinste Farbübergänge und -nuance.
Bei der lasierenden Schichten-Malweise durchdringt das Licht die transparenten Farbschichten und wird als sogenanntes Tiefenlicht vom Untergrund reflektiert und beleuchtet die Farben von hinten.
In vielen Schichten gemalte Bilder wirken häufig etwas dunkel, damit dies nicht passiert, arbeiteten die alten Meister halbdeckend die hellen Stellen mit weißer Farbe wieder hervor. Dieser Vorgang wird als Höhen bezeichnet.
Mit dem Wechsel zwischen Lasieren und Höhen bauten sie ihre Kunstwerke auf. Eine weiße Höhung kann dabei durchaus aus mehreren Schichten aufgebaut werden, so dass das ihr Zentrum vollweiß und deckend erscheint und langsam in den Untergrund übergeht. Das deckende Weiß ist dann der perfekte Untergrund für die nächste farbige Lasur, da sie diese nicht eintrüben kann und ihren Farbton satt leuchten lässt.
Ein weiterer Vorteil: Durch die vielen Schichten verblasst der Pinselstrich und jeder Ebene kommt weniger Bedeutung zu. Eventuelle kleine Fehler werden durch andere Schichten korrigiert und verschwinden. Mit Hilfe der Schichtenmalerei und ihrer Bildtiefe entstehen wunderbar perfekte Farbübergänge. Selbst gestrichelte Farbübergänge verschwimmen durch andere lasierte Farbaufträge, so dass sie kaum noch wahrgenommen werden.
Der klassische Bildaufbau
1.) Grundierung:
Begonnen wird das Bild meist auf einer eintönigen Farbschicht, der Imprimitur.
Getönte Grundierungen beeinflussen die Wirkung der darüber liegenden Farben und erzeugen eine besondere Lichtatmosphäre, da die Farben sich einheitlich optisch trüben. Sie haben den Vorteil, dass der Maler auf ihnen sowohl ins Helle als auch ins Dunkle arbeiten kann. Ausgehend von einem Mittelton kann er plastisch die Höhen und die Schatten anlegen und sich die Schattenmodulationen erleichtern.
Mit Acrylfarben kannst du die Imprimitur gut lasierend auftragen. Sie wirkt wesentlich lebhafter als ein Deckfarbengrund.
2.) Unterzeichnung: Auf die Grundierung skizzierten oder übertrugen die Künstler früher die Vorzeichnung meist mit Kohle. Heute empfehlen sich Aquarellstifte, die sich durch nachfolgende Acrylfarbschichten auflösen. Kohle verdreckt den nachfolgenden Farbauftrag nachteilig und leuchtet durch den harten Kontrast länger aus dem Untergrund hervor.
Auf die Vorzeichnung werden die Höhen mit weißer Farbe aufgemalt oder gestrichelt.
3.) Untertuschung: Auf der (gehöhten) Vorzeichnung legten die alten Meister eine lockere Untermalung mit lasierender Aquarell- oder Temperafarben an. Mit verdünnter Acrylfarbe kannst du ebenso gut diese traditionelle Untertuschung auftragen. Flächig und locker werden die Grundfarben lasiert, so dass das Ergebnis an eine Aquarellskizze erinnert. Manche Maler verzichteten vor der Untermalung auf ein Höhen. Tempera-Untertuschung auf Lasurgrund. Das unvollendeten Bild von Leonardo da Vinci zeigt eine erste locker gemalte Untermalung: Mit einigen lockeren Lasuren arbeitete der Künstler die Schatten hervor. Durch den Mittelton der ockerfarbenen Imprimitur entsteht eine stimmige Atmosphäre. Der heilige Hieronymus, Leonardo da Vinci, Öl und Tempera auf Holz; 73,5 × 103 cm; unvollendet), um 1480, Vatikanische Museen |
4.) Übermalung: Nun folgte die eigentliche Malerei nach dem Prinzip Lasieren und Höhen: Auf eine oder zwei lasierende, farbige Schichten werden weiße Höhen aufgetragen. Der Künstler achtet dabei auf eine gleichmäßige Entwicklung des gesamten Bildes. Alle Passagen befinden sich stetig auf dem selben Level.
Auf dem unvollendeten Bild von Tizian kannst du beobachten, wie der Künstler erste farbige Lasuren und ersten weiße Höhen partiell aufgetragen hat.
Der flüchtige Farbauftrag besitzt noch nicht die Tiefe und Feinheit, die für Tizians Kunst typisch sind. Papst Paul III. und seine Nepoten, Tizian, um 1546, Öl, 210 cm × 176 cm, unvollendet, Museo di Capodimonte |
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Abschließende Übermalung
Dies vollendete Meisterwerk von Tizian besitzt beeindruckende Farbtiefe und -feinheit. Papst Paul III., Tizian, 1543, Uffizien, Florenz |
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Die hellen Bildpassagen werden deckend bis lasierend aufgetragen. Das Höhen bis zu völlig weiß deckenden Stellen ist als Zwischenschritt unheimlich wichtig, damit das Bild nicht zu dunkel wird.
Die Farbigkeit und die Schatten werden mit Lasuren gemalt. Man kann den Farben etwas Binde- oder Malmittel hinzugeben, damit sie besser am Untergrund haften. |
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Bei Acrylfarben empfiehlt es sich, den Malgrund zunächst mit Wasser anzufeuchten, in das Nasse die weißen Passagen aufzutragen und diese locker auslaufend zu vertreiben.
Wenn du die weiße Farbe lasierend und in mehrere Etappen aufträgst, gelingen die Übergänge meist besser.
Die ersten Höhen malt man meist großflächiger (über das ganze Bild) und lasierender auf.
Nach dem farbigen Lasieren folgt wieder ein Höhen, das man nun auf einer kleineren Fläche anlegt. So geht das Schichten immer weiter, bis zum Schluss nur noch die hellen Lichter und Schatten gesetzt werden.
Die endgültige Bildwirkung sollte immer im Vordergrund stehen und nicht die Maltechnik. So gibt die deckende Malerei den Lasuren häufig einen entscheidenden Kick und man sollte immer ihren Gebrauch auch bei einem lasierend gemalten Bild in Betracht ziehen.
Pastose Primamalerei
Die Entdeckung der Ölfarbe, die sich sehr fein und geduldig verarbeiten lässt, förderte ab der Renaissance die direkte Malweise mit deutlich weniger Lasuren. Das Malen von einzelnen Bildpassagen, die deckend, alla prima und Detail für Detail nacheinander fertiggestellt werden, wurde nun immer häufiger von den Künstlern angewandt.
In Schichten wird mit Ölfarben seltener gemalt, da sie teilweise für Runzeln und Rissbildung der Ölbilder verantwortlich sind.
Im Gegensatz zur altmeisterlichen Malerei malten die Avantgarde-Künstler wie Impressionisten, Expressionsisten, Kubisten oder junge Wilde malten mit einem sichtbaren, deckenden Farbauftrag: Die Gestik der Pinselstriche und die vordergründige Farbe prägt die Kunstwerke, die fast ausschließlich vom Oberflächenlicht leben.
Vorteilhaft: Bei deckender Malweise können die Farbtöne exakter bestimmt werden.
Salvador Dalí malte meist auf einer Imprimitur mit gehöhter Untermalung in rein deckender Malweise. Die Imprimitur und das Höhen gibt seinen Bildern bereits den altmeisterlichen Touch.
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Text: B. Waclawik
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